Im Zeichenunterricht von Julo Levin
entstanden nach 1936 zahlreiche Zeichnungen von jüdischen Kindern. Das Stadtmuseum
Landeshauptstadt Düsseldorf besitzt 2000 dieser Zeichnungen. In der
Ausstellung Zeichnungen von Kindern und Künstlern werden die Zeichnungen in ihrem zeitgeschichtlichen und kunsthistorischen Kontext gestellt. In dem Blog des Stadtmuseums veröffentlichen wir 100 ausgewählte Zeichnungen. An dieser Stelle möchten wir auf die Geschichte der Schule, der Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer aufmerksam machen.
Götzendienst ohne Jahr Künstler unbekannt Farbstift, Scherenschnitt, Transparentpapier, Seidenpapier auf Karton Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf C 10359 |
Eine kleine jüdische Privatschule
hatte es in Düsseldorf bereits zwischen 1824 und 1877 in der Marienstraße
gegeben, und auch in der alten Synagoge an der Kasernenstraße wurden die
jüdischen Kinder in Religion, hebräischer Sprache und jüdischer Geschichte unterrichtet.
Die meisten Kinder aus der stetig wachsenden Düsseldorfer Gemeinde besuchten
jedoch christliche und staatliche Schulen, Rabbiner und Vorbeter waren sonntags
für die religiöse Bildung zuständig.
Das Jahr 1933, in dem Hitler zum
Reichskanzler ernannt wurde, veränderte in Düsseldorf auch die kommunale und
staatliche Schul- und Bildungspolitik: Zunächst wurden „nichtarische“
Lehrerinnen und Lehrer verdrängt und entlassen, danach zunehmend auch jüdische
Kinder durch die Schulbehörden ausgegrenzt oder vom Unterricht ausgeschlossen.
Die jüdische Gemeinde Düsseldorf hatte in dieser Zeit etwas über 5.000
Mitglieder, von denen bis Kriegsbeginn rund die Hälfte aus der Stadt und aus
Deutschland emigrieren konnte.
Am 1. April 1935 wurde im direkt
neben der großen Synagoge gelegenen Rabbinerhaus an der Kasernenstraße 67b eine
„Private Jüdische Volksschule“ eröffnet. Unterrichtet wurden hier Hebräisch und
jüdische Geschichte, Englisch oder Französisch als Wahlfächer, Deutsch und
Rechnen, Naturlehre, Sport, Zeichnen und Musik. Auf eine mögliche Ausreise
bereiteten die Fächer Palästinakunde, Geografie und Neuhebräisch vor. Ab dem
neunten und zehnten Schuljahr standen die berufsvorbereitenden Fächer im Mittelpunkt
der Lehrpläne: Werkunterricht und Kochen, Gartenbau, kaufmännisches Rechnen,
Kurzschrift und Maschinenbau. In der Zeit der Ausgrenzung und Verfolgung
sollten die Schülerinnen und Schüler durch regelmäßige Schulfeste, gemeinsame
Ausflüge und ein starkes Gemeinschaftsgefühl auch eine positive Haltung zum Judentum
und seiner Kultur entwickeln. Die Schule, eine „Erziehungsgemeinschaft“, wurde
so für die noch in der Stadt verbliebenen Kinder zu einem „Zuhause“ in einer
feindlichen Umwelt. In einer stillgelegten Fabrik in der Königsberger Straße,
die dem jüdischen Unternehmer und Ingenieur Neumann gehörte, fand der
Sportunterricht statt. Das Gelände und eine der beiden großen Hallen wurden
während der Schulferien für die Naherholung der Kinder genutzt.
In der Nacht zum 10. November 1938
wurden die Synagoge und auch das daneben liegende Rabbinerhaus mit der
Volksschule verwüstet, entweiht und in Brand gesteckt. Der Zerstörung in der
„Pogromnacht“ waren die Schulräume, das Mobiliar, die Schulbücher und
Unterlagen zum Opfer gefallen. In den meisten jüdischen Familien hatten die
Kinder in diesen Tagen und Nächten Erfahrungen mit Überfällen, Gewalt und
Verhaftungen machen müssen. Der Schulbetrieb wurde nach dem Pogrom im
Gemeindehaus an der Grafenberger Allee 78 provisorisch fortgeführt.
Bis 1939 übte die Schulbehörde der
Stadt Düsseldorf die Aufsicht über die jüdische Volksschule aus und finanzierte
noch die Gehälter des Lehrerkollegiums. Dann wurde die Anstalt von der
„Reichsvereinigung der Juden in
Deutschland“ übernommen. Im Oktober 1941 setzten die Deportationen deutscher
Juden in Ghettos und Lager in den besetzten Gebieten in Polen und dem Baltikum
ein: Mit der Verschleppung von 1.003 Menschen aus dem ganzen Niederrheingebiet
über den Güterbahnhof in Derendorf in das Ghetto von Litzmannstadt (Łodz)
begann dieses Kapitel auch in Düsseldorf. Viele jüdische Kinder, auch Schüler
der Volksschule, wurden mitsamt ihren Eltern verschleppt und später ermordet.
Die Schule, die noch im Winter 1941 nach Duisburg verlegt werden sollte (aber
nicht verlegt wurde), geriet in einen raschen Auflösungsprozess, der am 30.
Juni 1942 mit der endgültigen Schließung endete.
Die
Schülerinnen und Schüler
Die besondere Situation der
Schule, der Eltern und Kinder im nationalsozialistischen Düsseldorf führte
dazu, dass die Schülerschaft sehr heterogen zusammengesetzt war: Kinder aus
ärmeren Familien lernten mit Kindern aus wohlsituierten Familien zusammen;
streng religiös erzogene Schüler gingen mit säkularen Schülern in dieselbe
Klasse; Söhne und Töchter aus assimiliertem deutsch-jüdischen Hause besuchten
die Schule ebenso wie Kinder und Jugendliche, deren Vorfahren aus Osteuropa
zugezogen waren und einen anderen kulturellen Hintergrund hatten. Gemeinsam war
ihnen allen, dass sie und ihre Eltern von der nationalsozialistischen
Gesellschaft, die sich selbst als „Volksgemeinschaft“ definierte, ausgegrenzt
und als Angehörige einer „fremden Rasse“ verfolgt und diskriminiert, beraubt
und vertrieben, misshandelt und später ermordet wurden. So wurde die Schule für
alle Beteiligten zu einer wichtigen Institution des Zusammenhalts und der
Gemeinschaft in einer Zeit der Not.
Die Schule hatte zunächst sechs,
später acht Klassen. 1936 und 1937 konnten schließlich das neunte und dann auch
das zehnte Schuljahr eingeführt werden. Die Schülerschaft wuchs zunächst
schnell, weil auch Eltern aus umliegenden Städten am Niederrhein oder im
Bergischen Land ihre diskriminierten und ausgegrenzten Kinder nach Düsseldorf
in die Kasernenstraße schickten. Später kamen Schüler hinzu, die aus einer so
genannten „Mischehe“ stammten, also nur einen jüdischen Elternteil hatten und nicht
mehr am „deutschen Schulunterricht“ zusammen mit „rein arischen“ Schülern
teilnehmen durften.
Vor allem aber durch Flucht und
Emigration schwankte die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ganz erheblich:
Bei der Gründung der Schule (1935) waren es 210 Kinder und Jugendliche, schon
im Folgejahr 384, bei Kriegsbeginn 1939 jedoch nur noch 66. Diese Zahl
verkleinerte sich dann noch einmal auf 55 (1940) und schließlich 42 (1941).
Zahlreiche Kinder konnten in der Zeit zwischen dem Novemberpogrom 1938 und dem Kriegsbeginn
im September 1939 von ihren Eltern mit einem „Kindertransport“ nach
Großbritannien oder zu Verwandten in andere Fluchtländer geschickt und so
gerettet werden. In ihren Erinnerungen wird die jüdische Volksschule
überwiegend positiv beschrieben: als zentrale Zwangs- und
Schicksalsgemeinschaft, aber auch als ein verlässlicher und lebendiger Ort des
Lernens.
Wie viele ehemalige Schülerinnen
und Schüler der jüdischen Volksschule bis 1945 Opfer des Holocaust wurden, ist
nicht genau zu ermitteln: Auch diejenigen, die sich nach ihrer Emigration –
beispielsweise nach Belgien, Frankreich, Polen oder in die Niederlande – an
halbwegs sicheren Orten wähnten, wurden nach der deutschen Besatzung vielfach
verhaftet und in die Vernichtungslager deportiert. Viele Schüler der jüdischen
Volksschule an der Kasernenstraße haben den Holocaust nicht überlebt.
Die Lehrerinnen und Lehrer
Leiter der jüdischen Volksschule
war zunächst der 1903 in Offenbach geborene Dr. Kurt Herz. Er hatte an der
Universität in Frankfurt am Main promoviert und war als Studienreferendar und
Studienassessor an höheren Schulen in Gießen, Mainz und Offenbach tätig. 1929
wurde er an die Universität Berlin berufen. Dort unterrichtete er zugleich am
Kaiser-Friedrich-Realgymnasium in Berlin-Neukölln als Lehrer, wurde 1933 als
Jude jedoch aus dem Staatsdienst entlassen und kam zwei Jahre später nach
Düsseldorf.
Laut Kurt Herz sollte die Schule
„im wahrsten Sinne des Wortes Gemeinschaftsschule“ sein und „vor allem
Erziehungsgemeinschaft“. Die Lehrer, so Herz, sollten den „Kindern zugleich
Freunde und Berater sein und ihnen auch den Weg ins Leben zeigen“. Sie seien
dafür zuständig, bei den Kindern eine jüdische Identität zu festigen und sie
zugleich auf die Herausforderungen vorzubereiten, die beispielsweise eine
Emigration mit sich brächte. Damit war eines der Erziehungsziele klar benannt:
Vor dem Hintergrund einer sich immer mehr zuspitzenden antisemitischen Politik
der Nationalsozialisten behielten die Lehrerinnen und Lehrer die Entwicklungen
in Deutschland realistisch im Blick, den Kindern hingegen wollten sie neben den
Unterrichtsinhalten auch eine harmonische Insel ermöglichen und einen Ort der
Sicherheit und des Gemeinschaftsgefühls aufbauen. Nachdem Dr. Herz in Folge des
Novemberpogroms in das Konzentrationslager Dachau verschleppt und nach vier
Wochen wieder entlassen wurde, emigrierte er im Februar 1939 zusammen mit
seiner Frau nach England. Sein Nachfolger wurde der Pädagoge Kurt Schnook. Im
November 1941 wurde dieser von Düsseldorf in das Ghetto Minsk (Weißrussland)
deportiert und dort ermordet.
Das kleine Kollegium war
vielfältig tätig, seine Mitglieder waren aus ganz unterschiedlichen
Zusammenhängen an die Schule gekommen: Dr. Ellen Herz (1935-1939), die
Handarbeit und Hauswirtschaft unterrichtete; Kurt Schnooks Ehefrau Theresia
unterrichtete Englisch. In den Jahren 1938 und 1939 verließen einige Lehrer
Düsseldorf oder emigrierten direkt nach England, Belgien oder Palästina: Grete
Eichelberg, Erna Friedländer (Naturwissenschaften und Deutsch), Julius
Kleinmann (Mathematik und Sport), Dr. Ruth Nussbaum (Englisch und Französisch),
Dr. Beatrice Strauss (Sprachen und Landeskunde) oder Werner Weiss
(Werkunterricht). Der Rabbiner Dr.
Siegfried Klein, der seit 1919 in Düsseldorf amtierte, unterrichtete die Kinder
in Religion, bereitete sie auf ihre Bar- oder Bat Mitzwa-Feiern vor und las mit
ihnen aus der Thora. Im Oktober 1941 wurde er in das Ghetto Litzmannstadt
(Łodz) deportiert und 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet.
Leopold Vogel, der zugleich seit 1924 auch Kantor der Jüdischen Gemeinde war
und in der Synagoge vorsang, und Erwin Palm waren Musiklehrer in der
Volksschule. Beide wurden 1941 in das Ghetto Minsk verschleppt. Zu den prägenden Persönlichkeiten des Kollegiums
gehörte auch der 1911 geborene Pädagoge Dr. Kurt Bergel. Er war in Frankfurt am
Main aufgewachsen und hatte das dortige Wöhler-Realgymnasium besucht. In
Frankfurt und Berlin hatte er studiert, bevor er nach Düsseldorf kam. Hier
unterrichtete er Englisch, Geschichte, Deutsch und Hebräisch. Kurt Bergel
konnte im Februar 1939 nach London emigrieren. Er studierte später in Berkely
(USA) und wurde Professor an der Chapman University in Orange. Bergel starb im
März 2001. Der Maler Julo (Julius) Levin trat
dem Kollegium 1936 bei und leitete als Zeichenlehrer den Kunstunterricht.
Julo Levin, 07.03.1934, Fotograf unbekannt, Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf (smd.F 10846) |